Steine können fließen und was hat ein Auto-Fahrwerk mit Lebensmitteln zu tun?
Die Rheologie oder Fließkunde beschäftigt sich mit den Verformungseigenschaften aller denkbaren Materialien. Diese Eigenschaften stellen in weiten Teilen der Industrie wichtige Qualitätsparameter dar. Von der Streichfähigkeit, beispielweise von Farben oder Brotaufstrichen, bis zur Stabilität von Gummibändern oder Nudeln werden im Qualitätsmanagement oder der Produktentwicklung die Verformungseigenschaften überprüft. Sogar für Baustoffe wie Ziegelsteine müssen für die Qualitätskontrolle die rheologischen Eigenschaften überprüft werden.
Aber ein Ziegelstein kann doch nicht fließen?
Feststoffe haben in der Regel eine beständige Ordnung ihrer Bausteine (amorph oder kristallin), d.h. die Struktur lässt keine wirkliche innere Bewegung zu. Die meisten Feststoffe haben jedoch die Eigenschaft, unter Belastung ihre Form minimal zu ändern und nach Entlastung wieder in den Ausgangszustand zurückzukehren. Dabei wird unterschieden zwischen linear- (meist kleine Deformation) und nicht-linear-elastischen (Bsp. Gummielastzizität) Materialien. Somit haben auch die härtesten Materialen ein gewisses Fließverhalten. Als Fluid werden hingegen alle Materialien bezeichnet, welche sich unter dem Einfluss von Scherkräften kontinuierlich verformen. Unterschieden wird dabei zwischen Newtonschen und Nichtnewtonschen Fluiden. Newtonsche Fluide, wie Wasser oder Luft, haben eine belastungsunabhängige Viskosität. Das bedeutet, dass die Schergeschwindigkeit proportional zur aufgegebenen Scherspannung ist. Für Nichtnewtonsche Fluide, wie Ketchup oder auch Treibsand, gelten komplexere Fließgesetze und die Beschreibung oder Vorhersage des Materialverhaltens ist mitunter schwierig. In der Mitte zwischen Feststoff und Fluid gibt es noch die visko-elastischen Materialien. Die Beschreibung dieser Materialen stellt die größte Herausforderung an die Analytik.
Was hat das mit einem Fahrwerk zu tun?
In der Rheologie werden zur besseren Verständlichkeit und zur mathematischen Darstellung der Fließeigenschaften Modelle von Feder- und Dämpfer-Grundelementen verwendet. Zusammen mit einem Element für die Plastizität können damit, durch verschiedene Reihen oder Parallel-Schaltungen der Grundelemente, die Materialeigenschaften beschrieben werden. Durch die Feder wird das elastische durch den Dämpfer das viskose Verhalten eines Materials beschrieben. Somit ist es möglich das komplexe Verhalten von zum Beispiel Weizenteig zu beschreiben. In einer gerade veröffentlichten Arbeit wurden bei uns am Lehrstuhl in diesem Themengebiet der Einfluss der von Hefe produzierten Metaboliten auf die Teigbeschaffenheit untersucht. Kleinste Änderungen in der Zusammensetzung zeigten dabei schon deutliche Auswirkungen auf die Verarbeitbarkeit und das Materialverhalten der Teige. Weitere Infos hier: https://www.mdpi.com/2073-4360/13/1/30
Autor: Leonhard Vidal Link zum Profil